Das Ziel dieser Seminarwoche war, anhand möglichst vielfältiger konkreter Beispiele den engen Zusammenhang zwischen der gebauten Wirklichkeit und der dahinterliegenden kommunikativen Geschichte zu erleben. Das lässt sich in Berlin, einer Stadt, die ihre Erscheinung in den letzten dreißig Jahren (wieder einmal) komplett verändert hat, besonders gut zeigen. Wir begannen den ersten Tag der Reise mit einem ausgedehnten Spaziergang durch Mitte und Friedrichshain. Hier überlagern sich die gründerzeitlichen Arbeiterquartiere, die heute zum beliebten Wohnstandort und globalisierten Partyrevier geworden sind, mit den Vorstellungen der damaligen DDR, wie ihre Hauptstadt auszusehen habe: Von der Wohnzelle Friedrichshain über das Hochhaus an der Weberwiese zu den repräsentativen Bauten der Stalinallee zwischen Frankfurter Tor und Strausberger Platz und deren Fortführung im rationellen modernistischen Stil der sechziger Jahre (Kino International, Café Moskau, Hotel Berolina/Rathaus Mitte). Jede dieser Phasen des DDR-Wohnungsbaus ist das Resultat politischer Vorgaben, ökonomischer Zwänge und architektonisch-städtebaulicher Ideologien. Das westliche Pendant zur Stalinallee ist das Hansaviertel mit den Bauten der Internationalen Bauausstellung 1957 am Rande des Tiergartens. Hier präsentierte der Westen seine Vorstellung vom modernen Wohnen in der aufgelockerten und durchgrünten Stadt. Die Interbau war ein Erfolg mit großer Breitenwirkung, deren Faszination sich heute noch nachvollziehen lässt, nicht zuletzt aufgrund einer hervorragenden Aufarbeitung im Internet.
Der zweite Tag führte uns zu den Streitthemen der Gegenwart. Das sogenannte Humboldtforum im rekonstruierten Schloss ist vermutlich das meistdiskutierte deutsche Bauvorhaben der letzten zwanzig Jahre. Seine kommunikative Geschichte nachzuverfolgen, würde Bücher füllen. Was wir heute vor uns sehen, ist ohne diese Geschichte überhaupt nicht zu verstehen, und auch wenn das Gebäude in Fachkreisen oft pauschale Ablehnung erfährt, so lohnt es sich durchaus, sich mit den vielfältigen Diskussionsprozessen, die auch nach seiner Eröffnung weitergeführt werden, auseinanderzusetzen. Weniger stark kritisiert, aber in der Öffentlichkeit durchaus kontrovers diskutiert, sind die Ergänzungen der Museumsinsel durch David Chipperfield, insbesondere die James Simon-Galerie und das Neue Museum. Aber auch an Schinkels Altem Museum lässt sich zeigen, wie Kommunikation, hier vor allem in Form von Zeichnungen, einen architektonischen Mythos geschaffen hat, der bis heute fortwirkt. Von der Museumsinsel ging es zum Kulturforum im alten Westen, wo die gerade wiedereröffnete Neue Nationalgalerie (Ludwig Mies van der Rohe / David Chipperfield) aktuell einen Nachbarn bekommt, das "Museum des 20. Jahrhunderts" nach dem Entwurf von Herzog & deMeuron. Auch dieses Gebäude, von der Boulevardpresse, aber auch von Teilen der Fachwelt als "Kulturscheune" und "Deutschlands größter Aldi" verunglimpft, wird intensiv und nicht immer konstruktiv diskutiert, was bereits zu erheblichen Änderungen am ursprünglichen Entwurf geführt hat. Es gliedert sich damit nahtlos in die lange und komplizierte Geschichte des Kulturforums ein, die in einer Open Air-Ausstellung vor Ort nachvollzogen werden kann.
Der dritte Tag widmete sich einigen prominenten Einrichtungen der Architekturvermittlung. Am Pfefferberg befindet sich nicht nur die Galerie Aedes mit dem Aedes Network Campus Berlin, seit über 40 Jahren der Inbegriff der Architekturgalerie, sondern auch das Museum für Architekturzeichnung der Tchoban Foundation. Insgesamt konnten wir hier drei Ausstellungen völlig unterschiedlicher Thematik und Konzeption besuchen. Von dort ging es in das Deutsche Architekturzentrum DAZ, wo wir nicht nur die Ausstellung "Visiting Inken Baller und Hinrich Baller. Berlin 1966-1989" besuchten, sondern auch ein Gespräch mit der Leitenden Redakteurin der Zeitschrift "Die Architekt" Elina Potratz über den BDA, das Berufsbild der Architekt*in und die Kommunikation mittels einer Fachzeitschrift führen konnten.
Am vierten Tag ging es um die Internationale Bauausstellung 1984/87 sowie um aktuelle Konzepte städtischen Wohnens. Im Gebiet um den ehemaligen Blumengroßmarkt gelang es, anspruchsvolle Konzepte experimentellen Wohnens und Arbeitens zu verwirklichen, u.a. im Projekt IBeB von ifau mit Heide & von Beckerath sowie im Frizz 23 von deadline Architekten. Das neue Gebäude der TAZ von E2A liegt schräg gegenüber von dem vieldiskutierten IBA-Projekt "Kreuzberg Tower" von John Hejduk. Aus aktuellem Anlass gab es einen kurzen Exkurs zum GSW-Komplex von Sauerbuch Hutton, dessen stadtbildprägende Glaskastenfassade derzeit in akuter Verstümmelungsgefahr schwebt. Ob diese Gefahr durch eine Kommunikationskampagne noch abgewendet werden kann, ist leider völlig offen. Auf den weiteren Weg durch Kreuzberg konnten wir unter anderem das Wohnprojekt LIMA (Hermann Hertzberger/Inken und Hinrich Baller), den Umbau der St. Agnes-Kirche zur Galerie König (Werner Düttmann/Brandlhuber+/Riegler Riewe Architekten), das Aufbauhaus (Clark & Kuhn) als Beispiel für einen multifunktionalen Stadtbaustein, die Prinzessinnengärten, das Wohnregal in der Admiralstraße (Nylund/Puttfarken/Stürzebecher) als Beispiel einer radikal partizipativen Architektur und das Wohnprojekt Fraenkelufer von Inken und Hinrich Baller besuchen, ein heute mehr denn je beeindruckendes Stück Stadtreparatur, das erstaunliche Wohn- und Freiraumqualität schafft. Keines dieser Projekte wäre ohne die Bereitschaft ihrer Architekt*innen entstanden, sich auf intensive und langwierige Vermittlungs- und Kommunikationsprozesse einzulassen. Jedes erzählt heute eine Geschichte, deren Kenntnis die Stadt bereichert.
Fotos: Riklef Rambow, Yasmin Elgedy, Marvin Schott