Architekturkommunikation vor Ort | Antwerpen, Gent, Mechelen
Organisation und Leitung: Riklef Rambow & Veronica Lill-Bremauer; Co-Leitung vor Ort und fotografische Dokumentation: Marie Luisa Jünger (von ihr stammen sämtliche Fotos auf dieser Seite, außer die, bei denen ein anderer Name angezeigt wird); Teilnehmer*innen: 20 Studierende des Masterstudiengangs Architektur bzw. des deutsch-französischen Doppelmasters "Bauen und Planen in Euroregionen".
Die dritte Ausgabe unserer Seminar- und Exkursionsreihe a*komm vor Ort führte uns in die flandrischen Städte Antwerpen und Gent. Auf dem Weg machten wir zudem in Mechelen Station, dessen besondere Attraktivität uns im Rahmen der Vorlesungsreihe "All Tomorrow's Places" vor Augen geführt worden war.
Unsere erste Station Antwerpen ist eine dynamische Metropole. Die einwohnerstärkste Stadt Belgiens, der zweitgrößte Hafen Europas, historisch eine der bedeutendsten europäischen Handels- und Kulturstädte: Heute schlägt sich das in großräumlichen Stadterweiterungen und zum Teil spektakulären öffentlichen Bauprojekten nieder. An drei Tagen erwanderten wir uns bei hochsommerlichen Temperaturen die historische Altstadt und das Scheldeufer mit zeitgenössischen Ergänzungen wie der Erweiterung des Plantin-Moretus-Museums (NoAarchitecten, Antwerpen/B), dem Anbau der Stadtfestung "Het Steen" (ebenfalls von NoA) oder der Überdachung des Theaterplein ( von Sechhi & Viganó Milano/I). Ein historischer Höhepunkt ist der Beginenhof, der als geschütztes Dorf in der Stadt auch nach fünfhundert Jahren noch Anlass zum Nachdenken über alternative Wohntypologien gibt.
Der zweite Tag war dem Norden des Stadtzentrums gewidmet. Hier konzentrieren sich mehrere Neubauquartiere um die historischen Hafenbecken und entlang des neugeschaffenen Parks Spoor Nord (Secchi Viganó, Milano). Dabei wechseln sich hochpreisiger Wohnungsneubau mit sensiblen Quartiersergänzungen und niederschwelligen sozialen und kulturellen Nutzungen ab. Die Nahtstellen zu den bestehenden Quartieren sind noch deutlich spürbar, Gentrifizierungsprozesse sind sichtbar und die Charaktere der Viertel treffen teils hart aufeinander. Die belgische Freude am Experiment bringt spannende Kontraste und interessante Orte hervor, führt gelegentlich aber auch zu skurrilen Ergebnissen. Die Hafenverwaltung von Zaha Hadid Architects, das Museum aan de Stroom (Neutelings Riedijk, Rotterdam/NL), die Wohnhochhäuser auf dem Eilandje von Diener & Diener (Basel/CH), David Chipperfield und Tony Fretton Architects (London/GB) versuchen, Weltstadtflair nach Antwerpen zu bringen, Großprojekte wie das neue Cadix Krankenhaus von Robbrecht en Daem (Gent/B) oder der Mixed Use-Block Cadix u.a. von Meta Architecten (Antwerpen) erzeugen Maßstabssprünge, die in ihrer Wirkung noch nicht vollständig abzuschätzen sind. Interessanter erschienen uns soziale und Bildungsprojekte, die industrielle Bestandsbauten umnutzen wie der Campus Cadix von Korteknie Stuhlmacher (Rotterdam/NL) und das Sportzentrum in der alten Wagenhalle (Verdickt & Verdickt, Antwerpen).
Auch am südlichen Rand wächst Antwerpen. De Nieuw Zuid ist ein Quartier, das vollständig auf erstklassige Architektur setzt (Shigeru Ban, Kempe Thill, Robbrecht en Daem, Office KGDVS, Stefano Boeri , David Chipperfield u.v.a.m.). Der Masterplan von Studio Secchi Viganó konnte uns noch nicht vollständig überzeugen, allerdings sind einige Projekte noch im Bau und die Infrastruktur ist lückenhaft. Die verbindenden Grünflächen wirkten bei 35 Grad im Schatten eher gelb und verdorrt und die Schnittstellen zum nördlich gelegenen Stadtviertel um Vlaamsekaai und Waalsekaai, wo derzeit als Teil des neuen Mobilitätskonzepts ein neuer Park auf einer Tiefgarage entsteht, waren in ihrer endgültigen Qualität nur zur erahnen. Gleiches gilt für den Übergang zum spektakulären Justizpalast von Richard Rogers Partnership (1998-2006), einem herausragenden späten Beispiel britischer Hightech-Architektur. Den Abschluss des Tages bildete ein Spaziergang zum 2019 eröffneten Provinciehuis von Xaveer de Geyter Architects (Brussels/Paris), einem Raumschiff inmitten eines sehr vielfältigen Wohnquartiers, das ohne Zweifel äußerst fotogen ist, aber dessen Nutzwert angesichts fast völliger Menschenleere vorerst offen blieb.
Der Donnerstag war dem Aufenthalt in Mechelen gewidmet, einer Stadt von rund 80.000 Einwohner*innen mit großer Geschichte und einer interessanten jüngeren Entwicklung. Die Stadt galt noch vor zwanzig Jahren als gefährlich, heruntergekommen und sozial schwierig, erlebte dann aber unter dem Bürgermeister Bart Somers eine erstaunliche Renaissance, an der auch Stadtplanung und Architektur großen Anteil haben. Heute präsentiert sich Mechelen als sehr charmanter Ort, der Fluss Dijle ist hervorragend erschlossen und mit der wunderbaren neuen Bibliothek "Het Predikheren" im alten Dominikanerkloster (Korteknie Stuhlmacher, Rotterdam/NL) bot es zweifelsfrei einen der Höhepunkte der gesamten Exkursion. Am Nachmittag führte uns Tom Verschueren vom Büro dmvA durch fünf eigene Projekte, darunter mit dem Kunstcentrum NoNA ein weiterer Höhepunkt. Die Dichte hochwertiger neuer Architektur in einer Stadt dieser Größe bei gleichzeitig höchstem Respekt vor dem Bestand erschien uns erstaunlich und beeindruckend.
Gent liegt größenmäßig zwischen Mechelen und Antwerpen und ist mit seinen 263.000 Einwohner*innen gut mit Karlsruhe zu vergleichen. Das historische Zentrum ist in seiner Geschlossenheit fast überwältigend, die Dichte an gastronomischen Angeboten in Verbindung mit den vielen Kanälen und Grünanlagen zeugt von hoher Lebensqualität. Ein radikales Mobilitätskonzept sorgt seit einigen Jahren für den Vorrang von Fuß- und Radverkehr in weiten Teilen der Innenstadt. Auch in Gent haben mutige architektonische Entscheidungen dazu geführt, dass die Dynamik der Stadt ablesbar bleibt. Die Bibliothek "De Krook" (2018), RCR Arquitectes, Barcelona/ES) hat einen etwas vernachlässigten Teil der Innenstadt neu belebt. Die neuen Universitätsgebäude von Xaveer de Geyter (XDGA) und Sadar+Vuga (Ljubljana/SLO) sowie die Erneuerung der Universitätsbibliothek "Boekentoren" von Henry van de Velde durch Robbrecht en Daem Architecten (Gent/BE) zeigen die Bedeutung der Bildung für die Stadt. XDGA sind auch für das etwas brachiale Gebäude der Sint Lucas Kunsthochschule in der Altstadt verantwortlich sowie für die Melopee-Schule im neuen Hafenquartier mit ihren dreidimensionalen Spielflächen. Die Markthalle gegenüber der Kathedrale (Robbrecht en Daem mit Marie-José von Hee) zeugt ebenso von Offenheit und Diskussionsfreude wie das Ballettproduktionszentrum im Bijloke-Quartier von deVylderVinckTaillieu (Gent/BE) oder kleinere Interventionen von Office KGDVS (Brüssel/BE). Wir verließen Gent mit dem sicheren Gefühl, dass wir hier noch einige Tage mehr verbringen müssten, um der Stadt und ihrer Architekturszene auch nur annähernd gerecht zu werden.